Demokratie braucht Erinnerung und die Stimmen der Holocaust-Zeitzeugen

Am 9. November 2025 jährte sich die Reichspogromnacht zum 87. Mal. Es ist ein Tag, der uns mahnt, aber auch verpflichtet: Demokratie ist kein Selbstläufer. Unser freiheitliches politisches System lebt von Menschen, die hinsehen, zuhören und Haltung zeigen. Das Gedenken an die Grausamkeiten während der NS-Diktatur ist eine wichtige Säule zum Schutz unserer Demokratie. Gegen das kollektive Vergessen und für Wertschätzung.
Wer sich mit Erinnerungskultur und Zeitzeug:innen beschäftigt, begreift schnell: Geschichte ist nichts Abgeschlossenes. Sie wirkt nach – in Familien, in Gesellschaften, in unserem Denken und Handeln.
Wenn ich Vorträgen halte Erinnerungskultur und über „Zeitzeugen | Schicksale | Verantwortung“ begegne ich jungen Menschen, die oft zum ersten Mal begreifen, wie wenig selbstverständlich Freiheit, Vielfalt und Toleranz sind. Wenn sie die Stimmen von Holocaust-Zeitzeug:innen, die ich einst über Interviews für die Süddeutsche Zeitung kennenlernen durfte, aufleben lasse, kann ich sie abholen und mitnehmen in die Geschichte. Max Mannheimer, Marie-Luise Schultze-Jahn, Walter Joelsen oder Riccardo Goruppi haben Misshandlung und auch die Ermordung von Familienmitgliedern ertragen müssen. Bis zu ihrem Tod setzten sie sich für Verständigung und Versöhnung ein. Abba Naor, den ich mehrmals als Journalistin begegnet bin, lebt noch und teilte kürzlich sein Schicksal in einem Buch, gemeinsam verfasst mit dem SZ-Journalisten Helmut Zeller.
Bei meinem Vortrag im Pforzheimer Zeitungsverlag spürten rund 150 Schüler:innen, dass Erinnerung lebendig sein kann. Nämlich dann, wenn sie mit Emotion, Empathie und Dialog verbunden wird.
„Ihr seid nicht verantwortlich für das, was passiert ist. Aber dafür, dass es nie wieder passiert.“
Max Mannheimer (1920–2016)
So habe ich Max Mannheimer zitiert und er hat diesen Satz noch oft wiederholt. Die Aussage ist ein Auftrag. Gerade jetzt, wo antisemitische Parolen wieder laut werden, demokratische Institutionen infrage gestellt werden und unseriöse Medien falsche Inhalte verbreiten.
Die Gedenkstätte Dachau, über die ich während meiner redaktionellen Arbeit 2005/2006 sehr gut kennenlernen konnten und über die ich auch in meinen Schulprojekten spreche, war zwar kein Vernichtungslager, aber das erste Konzentrationslager im NS-System – ein „Pilotmodell“ für das, was folgen sollte. Heute ist sie ein Lernort, der Geschichte begreifbar macht: über Authentizität, über persönliche Geschichten, über die Würde der Erinnerung. Er ermutige junge Menschen und Lehrer:innen dazu, einen Exkursion dorthin zu planen.
Und diese Gedenkstätte ist ein Ort, der auch Antworten auf brandaktuelle Fragen liefert:
Wie schnell beginnt Ausgrenzung?
Wie leicht lassen wir uns durch Parolen oder Angst leiten?
Wie sprechen wir heute miteinander – und übereinander?
Die wohl bekannteste Zeitzeugin hierzulande, die kürzlich verstorbene Margot Friedländer, mahnte bis zu ihrem Tod in der Öffentlichkeit:
„Seid wachsam! Seid Menschen!“
Erinnerungskultur ist kein rückwärtsgewandtes Ritual, sondern eine Haltung. Sie ruft uns auf, Verantwortung zu übernehmen – im Alltag, in der Sprache, in unseren sozialen Netzwerken. Sie verlangt, dass wir nicht neutral bleiben, wenn Menschen ausgegrenzt oder demokratische Werte relativiert werden.
Was jede:r tun kann:
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Zuhören, argumentieren, abgrenzen.
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Informiert bleiben, Quellen prüfen.
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Eigene Aktionen starten, z.B. Stolpersteine putzen, in Vereinen aktiv werden, Gedenkstätten besuchen.
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Wählen gehen – und Haltung zeigen.
Es braucht mehr Zu-Mut-ung – im besten Sinne: Mut zur Menschlichkeit, Mut zur Auseinandersetzung, Mut zum Handeln.
Denn: „Damals hat es auch so angefangen.“ (Margot Friedländer)
Mehr Infos zum Projekt und zur Berichterstattung in der Pforzheimer Zeitung hier nachlesen
oder hier die Nachberichterstattung zum Vortrag direkt lesen:

Vortrag, Zeitzeugen, Alexandra Leibfried, PZ Forum, Pforzheimer Zeitung