„Skepsis und Gegenwind gehören für mich zum Alltag“

Du hast eben Dein Abi bestanden – herzlichen Glückwunsch, außerdem bist Du Co-Founder und CEO von Political X Change und als junger Mensch deutlich politischer als viele andere. Wie kam es dazu, gab es ein Schlüsselerlebnis?
Ein konkretes Schlüsselerlebnis gab es bei mir eigentlich nie. Es waren eher viele kleine Situationen, in denen mir klar wurde, wie wenig jungen Menschen zugetraut wird. Als ich mit 15 Jahren angefangen habe, eigene Ideen einzubringen, wurde das oft belächelt, sowohl in der Schule als auch in politischen Kontexten.
Dabei hatte ich damals selbst kaum Interesse an Politik. Der Unterricht in Geschichte und Politik hat mich wenig angesprochen. Erst durch die Schülervertretung habe ich Verantwortung übernommen und verstanden, wie sehr politische Strukturen unseren Schulalltag beeinflussen und welche Rechte wir als junge Menschen haben. Durch meine Arbeit in Gremien auf Kreis und Landesebene habe ich viel gelernt. Ich konnte Einblicke gewinnen in politische Abläufe, in Wahlkampf und in die Frage, wo echte Mitbestimmung beginnt und wo sie endet.
Was ist dann passiert?
Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass es mir nicht um parteipolitisches Engagement geht, sondern um politische Bildung. Mir ist wichtig, dass die Stimmen junger Menschen gehört werden. Besonders bei Themen wie Bildungsgerechtigkeit, Diversität und der Stärkung demokratischer Prozesse. Auch heute wird mir auf Veranstaltungen oft gesagt, ich sei zu jung, um mitentscheiden zu können. Oder man erklärt mir, wie ich überhaupt an die Politik herantreten soll. Aber es geht nicht nur um das Wahlalter, ob sechzehn oder achtzehn. Es geht darum, junge Menschen wirklich ernst zu nehmen, sie zu befähigen und ihnen echte Teilhabe zu ermöglichen. Das fordert auch Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention. Jugendliche sollen bei allen Themen, die sie betreffen, einbezogen werden. Genau dafür setze ich mich ein.
Wie genau sieht Dein Engagement im Alltag oder während Deiner Schulwoche aus?
Mein Engagement hat meinen Schulalltag nicht nur begleitet, sondern ihn im Grunde vollständig verändert. Ich wurde regelmäßig vom Unterricht befreit, um an Veranstaltungen, Gremiensitzungen oder Projekten teilzunehmen. Das führte zu vielen Gesprächen mit Lehrkräften und hatte natürlich Auswirkungen auf meine schulischen Leistungen. Mit über zweihundert Fehlstunden in einem Schuljahr war es schwer, durchgehend gute Noten zu halten. Auch Hausaufgaben konnte ich fast nie erledigen.
Wie gekommst Du alles unter einen Hut?
Letzte Woche habe ich mein Abitur erfolgreich abgeschlossen. Der Weg dorthin war anspruchsvoll. Ich bin täglich um 6 Uhr aufgestanden und hatte einen Schulweg von eineinhalb Stunden in jede Richtung, weil ich ganz bewusst eine Schule gewählt habe, deren besonderes Angebot mir wichtig war. Der Unterricht dauerte meistens bis 14 oder 15 Uhr, danach war ich oft erst gegen 18 Uhr zu Hause. Dann brauchte ich einen Moment für mich, meistens beim Spaziergang mit meinem Hund. Gleichzeitig habe ich dabei oft schon Telefonate geführt oder Interviews gegeben. Abends und teilweise bis tief in die Nacht habe ich an Projekten gearbeitet, Wettbewerbe vorbereitet, Veranstaltungen geplant oder Vorträge ausgearbeitet. Auch meine Aufgaben in der Schülervertretung, redaktionelle Tätigkeiten und Beiträge auf sozialen Plattformen wie LinkedIn waren feste Bestandteile meiner Woche. Zeit mit Freunden oder der Familie kam häufig zu kurz. Trotzdem war mir immer klar, wofür ich es mache.
Wie gehst du mit Gegenwind oder Skepsis gegenüber deinem Engagement um – besonders als Schüler?
Skepsis und Gegenwind gehören für mich mittlerweile zum Alltag. Und das nicht nur von Gleichaltrigen, sondern auch von politisch Verantwortlichen oder aus der Schule. Vieles wurde zwar gefördert, aber wirklichen Zuspruch habe ich selten gespürt. Ein Moment, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist, war in der Hessischen Landesvertretung in Berlin. Dort haben wir unsere Plattform Politically Exchange vorgestellt. Viele Menschen sind offen auf uns zugekommen, doch einige haben uns direkt entgegnet, wir würden der Demokratie schaden, wir hätten keine Ahnung, wir sollten erst einmal eine Ausbildung machen oder studieren. Genau darin liegt das Problem. Man kämpft für Themen wie Demokratie, Bildung und Teilhabe, und dennoch wird man nicht ernst genommen. Dabei sind das genau die Werte, die doch eigentlich alle tragen sollten.
Wie reagierst Du in solchen Fällen?
Ich möchte zeigen, dass man trotzdem an sich glauben kann. Dass man sich nicht entmutigen lassen muss, auch wenn der Widerstand groß ist. Wichtig ist, sich mit Menschen zu umgeben, die an einen glauben, die mitziehen, die Mut machen. Nur so schafft man es, sich nicht dem gesellschaftlichen Druck zu beugen, still zu bleiben oder sich anzupassen. Man darf die eigene Leidenschaft nicht verlieren. Man muss lernen, für sich einzustehen.
Mit Political X Change bringst du junge Menschen in Kontakt mit Kommunalpolitik. Was war bislang der größte Aha-Moment in diesem Projekt?
Als ich vor zwei Jahren mit Political X Change begonnen habe, gab es kaum Zuspruch. Viele haben gezweifelt, ob junge Menschen wirklich Interesse an Kommunalpolitik haben. Heute ist das anders. Immer mehr Kommunen melden sich bei uns. Wir planen nicht nur Workshops und Veranstaltungen, sondern auch die Einführung unserer Demokratie-App direkt an Schulen.
Diese App ermöglicht einen digitalen Austausch zwischen Schülerinnen, Schülern und der Kommunalpolitik. Mit Chatfunktionen, Umfragen und interaktiven Beteiligungsmöglichkeiten können junge Menschen ihre Meinung einbringen und aktiv mitgestalten. Es gibt digitale Wahlen der Schülervertretung, ein kommunales Informationsmodul zur Orientierung vor Wahlen und weitere Werkzeuge zur politischen Teilhabe. Vor kurzem haben wir zur Stärkung der Diversität im Team ein Netzwerk aus bereits 240 Jugendlichen, Mentoren, Lehrkräften und politischen Akteuren eröffnet.
Der größte Aha-Moment kam, als wir gespürt haben, warum unser Projekt gerade jetzt so gefragt ist. Die rechtsextremen Tendenzen in der Gesellschaft nehmen zu. Besonders unter Jugendlichen sehen wir das in Ergebnissen wie den Juniorwahlen sehr deutlich. Demokratie muss aktiv gelebt werden. Man kann ihr nicht mit Gleichgültigkeit begegnen, sondern nur mit Aufklärung, Austausch und echter Beteiligung!
Wie gelingt es Dir, Gleichaltrige für Demokratie und politische Mitgestaltung zu begeistern?
Ich glaube, es braucht vor allem drei Dinge, um Gleichaltrige für Demokratie zu begeistern: echte Augenhöhe, eine einfache Sprache und Begegnungen an den Orten, wo junge Menschen sich wirklich aufhalten. Deshalb mache ich auch Workshops an Schulen. Weil ich im gleichen Alter bin wie viele Teilnehmende, entsteht eine ganz andere Offenheit. Die Gespräche verlaufen ehrlich, direkt und ohne Druck. In meinen Workshops geht es nicht nur darum, über Politik zu sprechen. Ich lasse Jugendliche selbst aktiv werden. Sie denken über Herausforderungen in ihrer Kommune nach, suchen nach Lösungen und lernen dabei, was auf kommunaler Ebene möglich ist.
Viele wissen zum Beispiel nicht, dass man in einigen Bundesländern mit nur einer einzigen Unterschrift eine Petition einreichen kann, die offiziell behandelt werden muss. Und dass die Politik sogar eine Antwort darauf geben muss. Das sind Dinge, die im Schulalltag kaum vermittelt werden. Dabei ist genau dieses Wissen zentral für politische Teilhabe. Und dann sagt man immer: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht …großartig.
Was wünschst du Dir von Schulen in Deutschland, um politisches Bewusstsein bei Jugendlichen zu fördern?
Viele fordern, immer mehr Fächer in den Schulalltag zu integrieren. Themen wie mentale Gesundheit, Medienbildung oder gesellschaftliche Teilhabe. Ich sehe das etwas anders. Die Schulen sind jetzt schon überlastet und der Druck auf die Schülerinnen und Schüler ist hoch. Mein Vorschlag ist deshalb ein flexibles Wahlmodul-System. Einmal pro Woche zwei Stunden, in denen Jugendliche selbst ein Thema wählen können, das sie interessiert und das nicht benotet wird. Ob Präsentationstechniken, Demokratieprojekte, Informatik für Fortgeschrittene oder die Teilnahme an Wettbewerben. Und wichtig dabei: Diese Module sollten alle sechs Wochen gewechselt werden können. So bleibt es abwechslungsreich und orientiert sich an den tatsächlichen Interessen. Das würde Freiräume schaffen, um zukunftsorientierte Themen wirklich zu erleben, Raum für offene Diskussionen geben und dabei helfen, junge Menschen stärker in ihrer Persönlichkeit zu fördern. Denn Schule sollte nicht nur die Vergangenheit vermitteln, sondern auf die Zukunft vorbereiten.
Politik und Arbeitswelt – welche Argumente sprechen in Deinen Augen dafür, dass Arbeitgeber auch politische Akteure sind?
Ich bin überzeugt, dass wir ohne politisch denkende Arbeitgeber keine echte gesellschaftliche Mitgestaltung erreichen können. Politisch zu handeln bedeutet nicht automatisch, parteinah zu sein. Es heißt vielmehr, Haltung zu zeigen und sich für Ziele einzusetzen, die unsere Gesellschaft dringend braucht.
Zukunftsdebatten, die Frage nach sozialer Verantwortung oder die Sicherung wirtschaftlicher Stabilität sollten nicht allein der Politik überlassen werden. Auch Unternehmen haben Einfluss, Reichweite und Verantwortung. Eine Studie des Nürnberger Instituts für Marktentscheidungen zeigt deutlich, dass sich unsere Arbeitswelt verändert. Bei den sogenannten Leader of Tomorrow, also jungen Talenten zwischen 18 und 35 Jahren, geben 31 Prozent an, Politik aktiv mitgestalten oder beeinflussen zu wollen. Nur 22 Prozent möchten politisch neutral bleiben. Bei älteren Führungskräften im Alter von 50 bis über 66 Jahren sieht das anders aus. Hier sind es nur 17 Prozent, die sich politisch engagieren wollen, während 47 Prozent neutral bleiben.
Das zeigt deutlich: Die Wirtschaft von morgen wird politischer. Und genau darin liegt ein großer Mehrwert für Mitarbeitende. Wenn Unternehmen Haltung zeigen, entsteht Orientierung. Wenn sie sich gesellschaftlich einbringen, entsteht Vertrauen.
Wenn du Dir vorstellst, wir sind im Jahr 2030. Was möchtest du erreicht haben und was soll insgesamt in der Gesellschaft passiert sein?
Die Frage finde ich wertvoll, weil sie zum Nachdenken über unsere Verantwortung in der Gegenwart anregt. Im Jahr 2030 wünsche ich mir eine Gesellschaft, in der junge Menschen ernst genommen werden. Adultistische Tendenzen sollten der Vergangenheit angehören. Es darf keine Rolle spielen, ob jemand schon wählen darf oder nicht. Beteiligung muss unabhängig vom Alter möglich sein. Wir leben in einer offenen und vielfältigen Gesellschaft, aber es fehlt oft noch an echter Toleranz. Damit meine ich nicht nur Themen wie Geschlechtervielfalt oder sexuelle Identität, sondern auch die grundsätzliche Anerkennung von Lebensrealitäten, die nicht der eigenen entsprechen.
Ich sehe das nicht nur idealistisch, sondern auch realistisch. Ich mache mir Sorgen um unsere Debattenkultur, die zunehmend von Polarisierung, fehlender Sachlichkeit und Unwissen geprägt ist. Vor allem bei jungen Menschen auf sozialen Plattformen, aber auch durch die mangelnde politische Bildung in vielen Schulen. Mein Ziel ist es, bis 2030 dazu beigetragen zu haben, dass sich genau das ändert. Ich möchte mit meiner Arbeit Räume schaffen, in denen junge Stimmen nicht nur gehört, sondern ernst genommen werden. Ich will politische Akteure zum Umdenken anregen und Jugendlichen vermitteln, wie sie selbst aktiv werden können. Denn Veränderung beginnt nicht irgendwann, sondern jetzt.