„Demokratiemuskel und Zuversichtmuskel stärken“

Mareike gr. Darrelmann, wir beide haben eine Gemeinsamkeit: Wir sind davon überzeugt, dass demokratische Werte und die entsprechende Debatte mehr Raum in der Arbeitswelt finden sollten. Wie gehst Du im Zuge von Veränderung mit Vorbehalten um?
Als Konfliktcoach und Prozessbegleiterin bin ich immer da unterwegs, wo Veränderungen gerade stattfinden bzw. wo Veränderungsprozesse nicht optimal geglückt sind. Denn bemerkbar macht sich das oft an den Teams, die nicht abgeholt und mitgenommen wurden. Dort entladen sich dann stellvertretend oft die Spannungen in Form von Fluktuation, innerer Kündigung, Grüppchenbildungen oder offen ausgetragenen Konflikten. Die Wurzeln liegen meist tiefer im System.
Die Herausforderung ist, dass bei Veränderungsprozessen am Arbeitsplatz immer auch die Bedürfnisse nach Sicherheit und Stabilität auf der einen und Autonomie und Selbstwirksamkeit auf der anderen Seite tangiert werden. Genau damit können viele Menschen erst einmal nicht gut umgehen, weil sie es nicht gelernt haben und das Unternehmen wird nicht als Safe Space wahrgenommen, solchen Gefühlen auch Ausdruck verleihen zu können.
Das Thema Politik im Businesskontext wird gerade erst erprobt. Braucht es dafür umso mehr Sicherheit?
Deshalb engagiere ich mich dafür, in Unternehmen geschützte, moderierte Räume zu eröffnen, in denen sich die Mitarbeitenden zeigen können, mit all dem, was gerade da ist. Das können Ängste, Sorgen oder Befürchtungen (unerfüllte Bedürfnisse nach Sicherheit & Stabilität) sein aber auch konkrete Ideen, Bitten oder Forderungen der Mitgestaltung (unerfüllte Bedürfnisse nach Autonomie und Selbstwirksamkeit), die im Rahmen von Veränderungen gehört werden wollen. Das alles funktioniert dann gut, wenn wir ein Commitment über demokratische Werte haben und uns darin üben, entsprechende Debatten – auch bei kontroversen Perspektiven – am Arbeitsplatz zuzulassen und uns auch darauf einlassen – über alle Hierarchieebenen hinweg.
Über Dein Daily Business hinaus setzt Du Dich für ein besseres Demokratie-Verständnis ein. Wie genau machst Du das?
Ich bin seit 2024 Mitglied bei Mehr Demokratie e.V., dem weltweit größten Verein für direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung mit über 11.000 Mitglieder:innen. Dort moderiere ich – meist in Gemeinden, Städten und Vereinen – zusammen mit einem immer größer werdenden Netzwerk an Moderator:innen das Dialogformat „Sprechen & Zuhören“. „Sprechen & Zuhören“ schafft Räume für Verstehen & Verständnis und ermöglicht es Menschen mit ihren unterschiedlichen (politischen) Perspektiven „gehört & gesehen“ zu werden. Dies wird dadurch erreicht, dass in kleinen Gruppen jede Person gleich viel Redezeit bekommt und die Rollen klar sind: entweder Zuhörer:innen oder Sprechende. Der Dialog findet in mir und nicht mit den Anderen statt. Uns wird immer wieder zurückgemeldet, dass dadurch erst Erfahrungen entstehen können wie „Ich konnte mich mitteilen, ohne Angst zu haben, unterbrochen zu werden.“, „Ich konnte heute neue Gedanken zulassen, die ich sonst sofort wegdiskutiert hätte.“ oder auch „Da der Druck wegfällt, etwas entgegnen zu müssen, konnte ich wirklich einmal richtig zuhören.“
Wie hast Du Dich durch Dein Engagement mitverändert?
Ich bin mit meinem Engagement für die Demokratie gestartet mit der Haltung, vielleicht kann ich ja einige Menschen dazu bewegen, ihre Meinung zu ändern. Ich habe schnell gemerkt, dass darin eine Form der Überlegenheit steckt und ich unbewusst gedacht habe: „Ich bin richtig (mit meinen Gedanken).“ und „Du bist es noch nicht (mit deinen falschen Gedanken).“ Als mir klar geworden ist, dass ich hier die Augenhöhe verlasse, musste ich mich erst einmal eine längere Zeit mit mir und meinen Blinden Flecken beschäftigen. Zum einen ist mir klar geworden, dass ich aus einer sehr privilegierten Bubble heraus auf die aktuellen Probleme schaue, zum anderen habe ich gemerkt, dass mich mit meinem Gegenüber – zumindest auf Bedürfnisebene – mehr verbindet als ich ursprünglich dachte. Nur die Strategien, mit den unerfüllten Bedürfnissen (z.B. nach Sicherheit) umzugehen, unterscheiden uns deutlich. Deswegen entstand auch der Wunsch in mir, mehr Menschen außerhalb meiner Bubble – und zu Beginn auch definitiv außerhalb meiner Komfortzone – auf Augenhöhe zu begegnen.
Du hast regelmäßig Austausch mit Menschen außerhalb Deines eigenen politischen Spektrums – auch mit Menschen, die sich der AFD zugehörig fühlen. Was ist dabei die größte Herausforderung?
Als Moderatorin von „Sprechen & Zuhören“ und als GFKlerin (Gewaltfreie Kommunikation) erlebe ich immer wieder, dass wir Menschen in den Grundbedürfnissen nach Sicherheit und Autonomie vereint sind. Deswegen sehe ich in erster Linie den Menschen vor mir, auch, wenn es mir immer noch schwerfällt, bei bestimmten Triggerwörtern und politischen Perspektiven dies aufrechtzuerhalten. Doch genau darin sehe ich aktuell unsere Aufgabe, unseren Demokratiemuskel – kontroverse Meinungen nebeneinander stehen lassen zu können – und unseren Zuversichtmuskel – an das Gute im Menschen zu glauben – zu stärken. Claudine Nierth (Bundesvorstandssprecherin Mehr Demokratie) sagt dazu: „Je weiter wir inhaltlich auseinander sind, desto näher muss ich menschlich rücken.“ In meinen Gesprächen mit Menschen, die sich der AFD zugehörig fühlen, ertappe ich mich immer wieder dabei, wie unachtsam ich mit den Sorgen und individuellen Historien von Menschen umgehe, in dem ich sie von außen bewerte, verurteile und abstempele. Gerade diese Gespräche haben mich in den letzten Monaten sehr geprägt, mich mit meiner politischen Meinung nicht mehr so überlegen zu fühlen und die vielen Gemeinsamkeiten als Brücke für ein Miteinander statt ein Gegeneinander zu erleben. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrungen.
Was möchtest Du in einem Jahr in Sachen Politische Bildung bewegt und erreicht haben?
Ich möchte mit meinem gesellschaftlichen Engagement dazu beitragen, dass das Dialogformat „Sprechen & Zuhören“ in NRW – wo ich lebe – irgendwann zum Alltag gehört und jeder Mensch, den Zugang zu Räumen hat, in denen er/sie das gefühlt bekommt „gehört & gesehen“ zu werden.
Im Arbeitskontext möchte ich das Management von Unternehmen dafür sensibilisieren, dass sie gerade jetzt in Zeiten von stetigem Wandel, Räume im Unternehmen eröffnen müssen, in denen alle über Hierarchiestufen hinweg (wieder) in einen guten demokratischen Dialog kommen können. Dafür braucht es nicht viel: Nur MEHR Zuhören. Und MEHR Gehört & Gesehen werden.
Mehr Infos zu Mareike gr. Darrelmann findet Ihr hier. Vielen Dank für das Interview. liebe Mareike.